28. Oktober 2021

Wir wollen das ändern!

Wie sich Bildung für alle e.V. für mehr Geschlechtergerechtigkeit einsetzt
Autor: Veit Cornelis, Geschäftsführung,
Bildung für alle e.V.

Haltung zeigen und Gesellschaft verändern – das tägliche Geschäft vieler NGOs in Deutschland. Bildung für alle e.V. bietet Begegnungsräume durch Bildungsangebote für Menschen unterschiedlicher Herkunft in Freiburg an. Wie das Thema Geschlechtergerechtigkeit die Geschäftsführung erreicht hat und mit welchen Herausforderungen diese nun konfrontiert ist, berichtet Veit Cornelis.

Lesedauer: 5 min 50 s

Veit Cornelis | Bildnachweis: Bildung für alle e.V.

“… und wenn wir uns mit der Führungskultur unserer Organisation auseinandersetzen,
dann müssen wir stets Geschlechtergerechtigkeit mitdenken!”

Damit war das Thema in unserer Organisation geboren. Sich mit Konzepten, Ideen, Herausforderungen auseinanderzusetzen war schon immer Teil unserer zivilgesellschaftlichen DNA. Die tatsächliche Umsetzung dieses Credos braucht jedoch mehr als nur Willen. Aber der Reihe nach: Bildung für alle e.V. ist ein Verein, der sich in der Region Freiburg für soziale Teilhabe für zugewanderte Menschen einsetzt. Wir erreichen dies, indem wir für etwa 200 Menschen Zugänge zu Bildung schaffen. Geschlechtergerechtigkeit spielt in unserer täglichen Arbeit aus verschiedenen Gründen eine wichtige Rolle. Beispielsweise begleiten wir arbeitssuchende Frauen darin, ihr Selbstwertgefühl (wieder) zu entdecken und sich erneut als arbeitsfähige Persönlichkeiten zu verstehen. Eine Aufgabe, die mit Geschlechterbildern bricht sowie familiäre und gesellschaftliche Rollen neu konfiguriert. Gerade vor diesem Hintergrund war es an der Zeit, dass wir uns auch in der eigenen Organisation mit eben jenen Stereotypen auseinandersetzen. 

Aber reicht es, einfach nur zu wollen?

Es lag also eine nicht einfache Aufgabe vor mir in meiner geschäftsführenden Funktion. Eine Aufgabe, die unter Umständen gerade deshalb nicht trivial ist, da ich als Cis-Mann dieses Thema in die Organisation tragen wollte. Ist es nicht eine Katastrophe, dass ich diesen Satz im Jahr 2021 schreibe? Zunächst galt es also, die eigene Haltung und die verinnerlichten Gesellschaftsbildern kritisch zu hinterfragen. Im Zuge dessen , durfte ich  im Rahmen eines Online-Workshops, zu dem das Social Innovation Lab und Futur F aus Freiburg eingeladen hatten die Arbeit von Helene Wolf und FAIR SHARE of Women Leaders kennenlernen. Es war ein Denkanstoß mit Wirkung.

Das FAIR SHARE Commitment zu unterschreiben und uns damit zu verpflichten, unsere Führungsetage bis 2030 geschlechtergerecht aufzustellen, war für uns ein Leichtes. Schließlich verfolgen wir intern dasselbe Ziel. Viel aufwändiger würde die Diskussion mit sich selbst und vor allem mit den Führungsorganen der Organisation werden. Wohlwissend, dass meine Kolleg*innen sicherlich genau wie ich davon überzeugt sind, an dieser Stelle handeln zu müssen, konnte ich mich als Führungskraft dennoch nicht unbedingt „darauf vorbereiten“, wie dieser interne Prozess letztendlich verlaufen würde. Wir hatten den gesellschaftlichen Diskurs „ins Kleine“ verlegt und der Tatsache ins Auge blicken müssen. Plötzlich hatten wir das Thema Geschlechtergerechtigkeit weiter gefasst, als es unter Umständen dienlich war. Und wir mussten feststellen, dass auch wir uns einiger Aspekte und Fragen bisher nicht bewusst waren.

Über neue Fragen und Zielgruppen

Eine dieser Fragen es, war wie wir die Veränderung in unserer Organisation gestalten möchten. Voraussetzung hierfür ist die grundsätzliche Offenheit aller Beteiligten gegenüber dem Thema, der von außen auf uns zukommenden Kritik und gegenüber möglichem Protest und Widerstand. Schließlich wollten wir nicht davon ausgehen, dass wir mit diesem Vorhaben nur auf Zustimmung treffen würden. An dieser Stelle ist das berühmte (und berüchtigte) Fingerspitzengefühl gefragt: Entlohnung und Arbeitszeit waren dabei nicht die vordergründigen Themen, mit denen wir uns anschließend auseinandergesetzt haben. Es waren Rollenbilder, Onboarding-Prozesse und die Kompetenzzuschreibungen, die gerade in Führungspositionen noch immer stark in eine Geschlechterdichotomie gepackt werden. Uns wurde klar, dass wir uns bei der Diskussion um die Gestaltung unserer Organisation unbedingt vergewissern müssen, ob wir gerade versehentlich in solche stereotypischen Verhaltensmuster abdriften. Nur so ist es uns möglich, unseren Blick zu öffnen, wertfrei zu diskutieren und die nötigen strukturellen Veränderungen einzuleiten. Es braucht also eine organisationskulturelle Entwicklung und auch das Engagement einzelner Personen – und ich möchte ehrlich sein: Dies stellt eine sehr große Herausforderung für Organisationen wie Bildung für alle dar.

Was wir heute tun müssen 

Wir können den Status Quo nicht länger akzeptieren. Wir dürfen nicht mehr darauf hoffen, dass sich schon von allein etwas ändern wird. Wir müssen jetzt handeln. Wir müssen heute mehr denn je mutig sein, die Dinge anders zu machen. Wir haben durch die Unterzeichnung des FAIR SHARE Commitments einen weiteren Schritt auf dem Weg hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit getätigt.

Wir müssen aber darüber hinaus auch unsere eigene Haltung verändern. Denn dann verändert sich auch die Haltung des eigenen Umfeldes. Wer sich mit den eigenen Vorstellungen auseinandersetzt, kann auch andere davon überzeugen. Eine Situation, zu der sich viele Gründer*innen, Geschäftsführer*innen und Mitglieder in Vorständen und Aufsichtsräten über kurz oder lang verhalten werden müssen. Jetzt liegt es an uns allen, die Gesellschaft von Morgen auf den Weg zu bringen.

Das FAIR SHARE Commitment

Wir laden alle zivilgesellschaftlichen Organisationen dazu ein, das FAIR SHARE Commitment zu unterschreiben. Mit dieser Unterschrift bekennen sich die Organisationen öffentlich zu dem Ziel, ihre Führungsetagen bis spätestens 2030 geschlechtergerecht aufzustellen. Darüber hinaus gewährt die Unterschrift Zugang zu einer Community aus Vorreiter*innen und exklusiven Programmen von FAIR SHARE.