21. Oktober 2021

Führungsmensch

Wenn alte Führungsmythen auf Feminist Leadership treffen

Autor*innen: Daphne Heinsen & Tina Hayessen von Campact

Die Kraft aller nutzen – mit der richtigen (feministischen) Führung ist das möglich. Was theoretisch gut klingt, ist in der Praxis jedoch gar nicht so leicht zu leben: zu oft prallen Ansätze von Feminist Leadership auf angestaubte Führungsmythen und in der Folge macht sich schnell Frustration breit. In diesem Beitrag erforschen Daphne Heinsen und Tina Hayessen, wie mensch als Führungskraft dieser Konfrontation begegnen kann.

Lesedauer: 9 min 30 s

Daphne Heinsen und Tina Hayessen | Bildnachweis: Campact

“Du  hast alles, was du brauchst. Ich vertraue dir.”

Dieses Grundgefühl hat mir meine erste Führungskraft gegeben – wenn mensch so will. Es war meine Mutter, von der ich gelernt habe, wie man Menschen in die Lage bringt, etwas umsetzen zu können. Unterstützen statt Kleinmachen, die Gestaltungsmacht des Gegenübers spiegeln: Auf diese Weise wollte ich auch selbst mit Menschen umgehen; später als Chefin natürlich auch mit allen Mitarbeiter*innen. So gesehen war ich schon immer Anhängerin des Feminist-Leadership-Konzepts – ohne den Begriff gekannt zu haben. Der ist mir erst vor einigen Jahren begegnet, eher zufällig. Dank FAIR SHARE habe ich erfahren, was für Prinzipien hinter diesem Begriff stehen, und auch viel über meine eigene Position im Arbeitsleben gelernt. Es sind eben nicht nur Fleiß und Talent, die jemanden in eine Führungsposition bringen.  

Die Prinzipien von Feminist Leadership

Kluge und zum Teil mehrfach marginalisierte Menschen haben das Konzept von Feminist Leadership erstellt und kontinuierlich weiter ausgearbeitet. Einen Einstieg in das Thema findet mensch leicht: Die Non-Profit-Organisation ActionAid hat zum Beispiel zehn der wichtigsten Prinzipien des Feminist Leadership zusammengefasst. Wer tiefer gehen möchte, ist bei der Aktivistin Srilatha Batliwala sehr gut aufgehoben. Ihr Concept Paper “Feminist Leadership for Social Transformation: Clearing the Conceptual Cloud” schafft nicht nur klare Begrifflichkeiten und beschreibt das Prinzip von Feminist Leadership – es will auch eine Brücke zwischen Theorie und Praxis bilden. Denn das Ziel von Feminist Leadership ist klar: eine gesellschaftliche Veränderung, die für alle mehr Möglichkeiten schafft.    

Als Geschäftsführerin bei Campact bekenne ich mich zu Feminist Leadership. Dieser Teil fällt erst einmal leicht: Die Prinzipien sind von gegenseitigem Respekt geprägt, von dem Wunsch nach gleichberechtigter Zusammenarbeit und dem Versuch, das Beste für sich und andere zu erreichen. Das klingt ziemlich gut und ist es auch. Gleichzeitig sind wir alle längst nicht frei von alten Vorstellungen einer funktionierenden Arbeitswelt. Laut diverser Führungsmythen muss mensch eine bestimmte Art von Stärke zeigen, um respektiert zu werden. Ein*e Chef*in sollte demnach Dominanz und Machtstreben ausstrahlen. Da stecken Archetypen in den Köpfen, die natürlich selten ausgesprochen werden, aber trotzdem das Verhalten steuern können. Noch immer schaffen es zum Beispiel besonders viele Menschen mit narzisstischer Störung in Führungspositionen. Die ständige Belohnung bestimmter Verhaltensweisen zeigt, dass einige Vorstellungen sehr fest verankert sind. Ein lautes “Wir laufen jetzt da lang” – das wird mit Führung assoziiert. 

Doppelte Anforderungen

Ich bin selbst auch schon in diese Falle getappt. Da habe ich versucht, besonders stark aufzutreten – weil ich es als einzigen Weg sah, ernst genommen zu werden. Gerade als Anfänger*in in einer Führungsposition ist es nicht leicht: Mensch muss sich selbst in der neuen Rolle als Chef*in finden und gleichzeitig alte Ideen von Führung zerbröckeln lassen. Das betrifft alle Menschen, die als Feminist Leaders auftreten.

Für diejenigen, die nicht als heterosexuell, weiß, cis und männlich gelesen werden, kann es schnell noch schwieriger werden. Denn wer sich als Führungskraft zurückhält, den Mitarbeitenden Rückhalt gibt und sich um Inklusion bemüht, wird schnell in eine klischeebehaftete Ecke gestellt. Dann handelt mensch aus Sicht einiger Leute möglicherweise nicht bewusst unterstützend, sondern legt genau die Verhaltensweisen an den Tag, die stereotypisch von Frauen erwartet werden – und die in der Weltsicht dieser Menschen Schwäche preisgeben. Hier zu widerstehen, ist eine enorme Herausforderung. 

Mein Umfeld hat es mir im Verhältnis leicht gemacht. Ich habe an Orten gearbeitet, wo eine autokratische Führung längst als veraltet abgelehnt wurde. Mensch braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, an welchen Arbeitsplätzen Feminist Leadership zurzeit mit aller Vehemenz bekämpft wird. Doch selbst dort, wo sich Menschen mehrheitlich zu einer demokratischen und unterstützenden Arbeitsweise bekennen, gibt es Reibungspunkte. Die schottische Professorin Fiona Mackay hat etwa in einem spannenden Vortrag erklärt, wie sie in einer akademischen Struktur die Idee des Feminist Leadership mit der Realität vereinbaren muss. So zum Beispiel, wenn die Universität von der Politik Vorgaben zur Immigration Policy bekommt, die sie als Rektorin umsetzen muss – auch wenn sie sich nicht mit ihren Ansprüchen von Gleichbehandlung decken. In der beruflichen Praxis läuft es auf Kompromisse hinaus, die schmerzhaft sein können, aber manchmal auch die Kraft entwickeln, langfristige Veränderung zu initiieren.

Spielraum für Interpretationen

Im Alltag ist es mitunter schwierig, die Reaktionen auf die eigene Verhaltensweise zu reflektieren. Vielleicht merkt mensch, dass jemand gerade eine andere Führung erwarten würde, aber hat weder die Kraft noch die Zeit, um nachzuhaken. Ich versuche, nicht zu interpretieren, was andere sagen; was dieser Blick bedeutet. Denn das bringt weder mir noch meinem Team etwas. Falls Raum dafür sein sollte, frage ich nach: “Mich interessiert, wie Du das gemeint hast, magst Du noch ein paar Sätze mehr dazu sagen?” Dann kann mensch die Situation klären. Doch ich rate davon ab, sich auf das Negative zu konzentrieren.

Wichtiger sind für mich die positiven Kräfte von Feminist Leadership. Wenn ich erlebe, dass ich etwas erreiche, stärkt diese Erfahrung das Vertrauen. Das Team setzt ein lange geplantes Projekt erfolgreich um – und schon verliert mögliche Kritik an Bedeutung. Dass Einzelne denken, ich hätte im Prozess als Führungskraft dominanter auftreten müssen, tritt in den Hintergrund. Mein Ego möchte gerne, dass sie nicht so denken – das versuche ich mir bewusst zu machen. Und auch, dass ich die Motive und die aktuelle Lebenssituation dieser Menschen nicht kenne.  

Seid nachsichtig: mit euch selbst und anderen

Es hilft, sich klar zu machen: Menschen in unserem Umfeld handeln aus unterschiedlichen Gründen – und wir haben nur wenig Einfluss darauf. Niemand von uns funktioniert immer perfekt. Vielleicht war nur der Kaffee schlecht, vielleicht liegt aber auch ein geliebter Mensch im Krankenhaus. Ein wichtiges Prinzip von Feminist Leadership ist, miteinander nachsichtig zu sein; auch mit uns selbst. Wenn ich das als Führungskraft tue, schone ich nicht nur meine eigene Kraft. Ich gebe auch ein Beispiel ab. Wenn andere erleben, dass ich gerade etwas nicht kann und auch den Mut aufbringe, dass zu sagen, dann macht es dasselbe für sie leichter. Das kann heißen, dass ich jemanden um Rat bitte oder auch, dass ich zum Telefon greife und jemandem sage: Es tut mir leid, wie das gestern gelaufen ist. 

Anders als das, was als “starke Führung” mythisiert wird, sehe ich meine Arbeit nicht darin, in eine Richtung zu zeigen und die Menschen anzutreiben, dahin zu rennen. Ich räume vor allem Steine aus dem Weg. Denn ich bin überzeugt, dass jede Person, mit der ich arbeite, bereits in ihrem Bereich der*die Spezialist*in ist. Ich muss als Führungskraft dafür sorgen, dass sie ihre Arbeit auch tun kann.

Die Kraft von allen

Feminist Leadership sieht uns als komplette Menschen. Ich habe dadurch ehrliche, wertschätzende und nährende Arbeitsbeziehungen. Das stützt mich wieder in meiner Arbeit und gibt neue Kraft. Das ist nur der persönliche Wert von Feminist Leadership. Ganz grundsätzlich macht es möglich, dass wir alle Talente und Kräfte nutzen können, um das zu meistern, was an Herausforderungen bevorsteht. Ihnen werden wir nur als Kollektiv begegnen können. Für sozialen, ökologischen und demokratischen Fortschritt brauchen wir die Kraft von allen – und nicht weitere Reibungspunkte und Verluste durch Machtspiele. Wenn wir diese Form der gegenseitigen Repression überwinden, kommen wir einer Welt näher, in der alle Menschen ihre Freiheit verwirklichen können. Einer Welt, die Menschen mit der Haltung begegnet, dass sie alles in sich tragen, was sie für ihr Glück brauchen. 

Mehr zu Feminist Leadership

Feminist Leadership, oder auch Feministische Führungskultur, ist ein Konzept, das vorwiegend von Frauen und Frauenrechtsbewegungen aus dem Globalen Süden entwickelt und praktiziert wurde. Über die letzten Jahren hielt dieses Konzept Einzug in den internationalen sozialen Wirkungssektor. Auch FAIR SHARE of Women Leaders arbeitet zur praktischen Umsetzung von Feminist Leadership, zuletzt mit der Publikation “Agenda für den Wandel” und einer 8-wöchigen Webinarreihe zu verschiedenen feministischen Prinzipien.