22. Juni 2023

Der Wandel muss auch nach Innen erfolgen

Organisationskultur im Kontext feministischer Politikgestaltung
Autorin: Lea Holst, FAIR SHARE of Women Leaders

Im Rahmen unseres gemeinsamen Projektes mit der Bundesstiftung Gleichstellung zur Erstellung einer ersten deutschsprachigen Expertise zu Ursprüngen, Entwicklung und Anwendung feministischer Perspektiven auf Führungs- und Organisationskultur haben wir Expert*innen und Praktiker*innen zusammengebracht. Am 1. Juni 2023 fand der dritte und letzte Online-Workshop zum Thema „Feministische Führungskonzepte im Kontext feministischer Politikgestaltung” statt.

Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok, Direktorin, Harriet Taylor Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung, © Baris Guerkan; Dr. Regina Frey,  Leitung Wissen, Beratung und Innovation, Bundesstiftung Gleichstellung, © Monika Keiler, BSG; Dr. Julia Schöneberg,  Vertretungsprofessorin im Fachgebiet Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien, Universität Kassel © Melissa Derafsheh

Feministische Politikgestaltung steht derzeit hoch im Kurs. Vermehrt beginnen Ministerien und Ressorts, Politik feministisch zu denken und zu gestalten. Prominentes Beispiel ist die Feministische Außenpolitik, welche seit 2023 auch in Deutschland angestrebt wird. Wir bei FAIR SHARE haben uns gemeinsam mit der Bundesstiftung Gleichstellung die andere Seite der Medaille angeschaut und diskutiert, wie diese extern deklarierten Politikkonzepte mit den internen Herangehensweisen von Führungs- und Organisationskultur zusammenhängen.

Ein feministisches Außen braucht ein feministisches Innen

Dr. Regina Frey, Leitung im Bereich Wissen, Innovation und Beratung der Bundesstiftung Gleichstellung betont, dass der Wandel hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit nicht nur nach Außen deklariert werden kann, sondern auch im Inneren einer Organisation verfolgt werden muss. Hierzu braucht es eine Klarheit von Inhalten, Konzepten und Begriffen zu feministischer Führungskultur:

„Das ist schnell gesagt – Feministische Führungskultur. Aber dies wirklich mit Leben zu füllen und Kriterien dafür zu haben, ist mir persönlich wichtig. Auch in Bezugnahme auf das Wissen, was schon existiert und reichhaltig da ist, auch kritisches Wissen, wo wir nicht erst anfangen zu denken, seit es das Begriffspaar der Feministischen Führungskultur gibt.“

Dennoch kann feministische Führungskultur nicht in allen Ministerien und Ressorts gelebt werden. Viele Vorkehrungen und Vorgaben für eine geschlechtergerechte Organisationsstruktur sind bereits vorhanden – zum Beispiel durch Gender Mainstreaming. Aber sie werden bis heute nicht konsequent umgesetzt. In der Auseinandersetzung mit feministischer Führungskultur ist es wichtig, die bestehenden Ansätze einzubeziehen und Vorgaben auch tatsächlich umzusetzen.

Hierbei sei die Beteiligung aller Geschlechter wichtig. Denn selbst wenn Parität der Geschlechter wichtig sei: eine feministische Führungskultur gehe hier viel weiter.

Ein Einblick in die feministische Ökonomik

Prof. Aysel Yollu-Tok ist Direktorin des Harriet Taylor-Mill-Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung und arbeitet seit vielen Jahren zu feministischer Ökonomie. Sie zeigt die inhärente Pluralität und Interdisziplinarität der feministischen Ökonomik auf, welche von der Diversität der Ansätze lebt. In Bezug auf Wirtschaftspolitik, d.h. in der Umsetzung der Ökonomik, zeigt eine feministische Perspektive auf, dass z.B. der Blick auf unbezahlte Sorgearbeit fehlt.

„Die große Herausforderung ist, dass es ein Konzept geben muss (…), das lebbar ist, sodass neben der bezahlten Erwerbsarbeit – was in Wirtschaftskreisen usw. sichtbar ist – auch diese unbezahlte Arbeit, sei es Pflege, sei es Kinderbetreuung, sei es andere ehrenamtlichen Tätigkeiten, auch quantifiziert werden und somit im Wirtschaftskreislauf sichtbar werden, von Makro- bis Mikroökonomie.“

Zur tatsächlichen Umsetzung feministischer Wirtschaftsprozesse braucht es nach Yollu-Tok ein inhaltliches Umdenken mit feministischen Schwerpunkten, anstatt einen ausschließlichen Fokus auf Organisationsstruktur. Wenn feministische Perspektiven regelmäßig eingebracht werden, können sich Strukturen auch dadurch verändern – in einem interdependenten Prozess zwischen Inhalten und Struktur.

Solche Strukturen im Sinne einer feministische Führungskultur haben viele Aspekte, wie die Möglichkeit von Führen in Teilzeit in Organisationsstrukturen oder Steuergerechtigkeit als gesellschaftspolitische Struktur.

Wo setzen wir an in der feministischen Entwicklungszusammenarbeit?

Julia Schöneberg ist Vertretungsprofessorin im Fachgebiet Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Universität Kassel. Sie betont, dass feministische Politik nicht heißt, Politik für Frauen zu machen und auch nicht darum, Frauen resilienter zu machen, um im patriarchalen System besser zu bestehen. Es geht um größere Fragen.

Wir können im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit nicht Werte die wir in Deutschland momentan als sinnvoll und wertvoll definiert haben, exportieren, sondern müssen zunächst einmal damit beginnen uns selbst zu fragen wie zum einen die Bedingungen in Deutschland sind und was sich hier verändern muss, und zum anderen wie wir durch unsere Lebens- und Konsumweise in globale Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen impliziert sind.“

In der Entwicklungszusammenarbeit bedeutet eine politische Umsetzung einer feministischen Perspektive insbesondere, bei den Instrumenten und Vorgaben für Programmplanung und Projektumsetzung anzusetzen. Hierbei müssen die Kriterien geschlechtergerecht, intersektional und anti-rassistisch sein und Fragen nach Chancengerechtigkeit, Repräsentanz und Pluralität stellen.

 

Ein feministischer Ansatz in Führungs- und Organisationskultur und in dem weiten Feld der Politikgestaltung, schafft einen neuen Blick auf altbekannte Themen. Dieser neue Blick bricht mit etablierten Denkmustern und Praktiken und versucht der Komplexität unserer Gesellschaft gerecht zu werden, um (geschlechter-)gerechte Strukturen Wirklichkeit werden zu lassen.

Mehr zu Feminist Leadership

Feminist Leadership, oder auch Feministische Führungskultur, ist ein Konzept, das vorwiegend von Frauen und Frauenrechtsbewegungen aus dem Globalen Süden entwickelt und praktiziert wurde. Über die letzten Jahren hielt dieses Konzept Einzug in den internationalen sozialen Wirkungssektor. Auch FAIR SHARE of Women Leaders arbeitet zur praktischen Umsetzung von Feminist Leadership, zuletzt mit der Publikation “Agenda für den Wandel” und einer 8-wöchigen Webinarreihe zu verschiedenen feministischen Prinzipien.