11. November 2021

Ohne „die Männer“ geht es nicht

Ein Gespräch zu Positionierungen, Macht und Allyship
Autor*innen: Lisa Klein und Ulf Matysiak von TeachFirst Deutschland
Ulf Matysiak, Geschäftsführer von Teach First Deutschland, und Lisa Klein, Assistenz der Geschäftsführung, beschäftigen sich gemeinsam regelmäßig mit Fragestellungen rund um Macht, Diversität und Leadership – auch im Hinblick auf ihre eigenen Positionierungen. Für den FAIR SHARE Blog haben sie eines ihrer Gespräche verschriftlicht.

Lesedauer: 6 min

Lisa Klein, Ulf Matysiak | Bildnachweis: TeachFirst Deutschland

Lisa:
Wie vermutlich die meisten Frauen beschäftigt mich seit meiner Kindheit, warum Mädchen und Frauen bestimmte Zugänge verwehrt bleiben. Ich versuche deshalb, unterschiedliche Rollen und Positionierungen von mir selbst und anderen immer wieder zu reflektieren. Das wünsche ich mir auch von meinem Gegenüber. Meine jetzige Stelle als Assistenz einer männlichen Geschäftsführung hätte ich ehrlicherweise niemals angenommen, wenn unsere Geschäftsführer Ulf und Wilke im Bewerbungsgespräch nicht von allein angesprochen hätten, dass sie sich damit beschäftigen, dass Teach First Deutschland als NGO mit einem mehrheitlich weiblichen Team zwei männliche Geschäftsführer hat.
Natürlich ist Gender nur eine von vielen Diversitätsebenen. In meiner persönlichen Erfahrungswelt spielt meine Identifikation als Frau aber eine entscheidende Rolle. Der regelmäßige Austausch mit Ulf und anderen Personen im Team zu Diversität in unserer Organisation und das Commitment von Teach First Deutschland zur Initiative FAIR SHARE of Women Leaders sind mir daher sehr wichtig. Ulf, ich frage jetzt mal provokativ, warum ist dir als männlicher CEO unser Engagement für und mit FAIR SHARE wichtig?
Ulf:
Zunächst mal eine Gegenfrage. Warum sollte man sich als Mann nicht für die Anliegen von FAIR SHARE engagieren?
Lisa:
(lacht)
Ulf:
Im Ernst. Das würde nur dann Sinn machen, wenn man der Ansicht ist, dass Frauen sich allein darum kümmern sollten, mehr Leitungspositionen zu erhalten. Wir wissen aber, dass es systemische Gründe dafür gibt, warum nicht mehr Frauen auf oberster Ebene führen – ein Blick in die Vorstände[1] und Aufsichtsräte großer Konzerne reicht.
Diese strukturelle Benachteiligung gibt es auch im dritten Sektor – obwohl der sich sonst so gerne als besonders fair und frei von Diskriminierung versteht oder verstehen will. Wenn es aber darum geht, dass wir systemische Benachteiligung bekämpfen und gleiche Chancen herstellen, dann geht das nur, wenn es eine kollektive Bemühung darum gibt. Dann geht das alle an.

 

Lisa:
Ich würde das sehr gerne ein wenig zuspitzen: Ohne „die Männer“ geht es nicht. Ein jahrhundertealtes System, das Menschen in Männer und Frauen kategorisiert und ihnen unterschiedliche Rollen und Wertigkeiten zuschreibt, lässt sich nur als gemeinsame Kraftanstrengung aufbrechen.
Wichtig finde ich, dass wir nicht in eine Förderrhetorik abdriften, bei der männliche Führungskräfte sich gönnerhaft darum bemühen, dass Frauen es auch in die Führungsebene schaffen. Mir sagt hier die Idee des Verbündet-Seins (Allyship) und des Powersharings sehr zu.
Ulf:
Für mich ist ein erster wichtiger Schritt die Anerkennung der Tatsache, dass Männer in der Arbeitswelt deutlich privilegiert sind. Das Wort „Quotenfrau“ wird regelmäßig benutzt. Für die Bevorzugung von Männern gibt es keinen allgemein gebräuchlichen eigenen Begriff. Bei der Sichtbarmachung von Benachteiligungen darf es aber natürlich nicht bleiben:
Dass sich die Geschlechterverteilung der Organisation auch in den Führungs- und Aufsichtsgremien wiederfindet, sollte ein explizites Ziel sein, das in der ganzen Organisation bekannt ist. Dass das nicht in jedem Jahr erreichbar ist, mag Teil der Realitäten sein, aber dann sollte es darüber einen Diskurs geben und es sollte gemeinsam nach Gründen und Reaktionen geforscht werden. Das bedeutet auch, dass wir im Sektor unsere Anwerbe- und Auswahlverfahren deutlich professionalisieren müssen.
Lisa:
Mir gefällt der Begriff der Professionalisierung hier sehr. Viele meinen von sich, dass sie ganz sachlich und neutral Bewerber*innen ansprechen und auswählen und schieben die Verantwortung für mangelnde Diversität in ihren (Führungs-)Teams von sich weg.
Professionalität bedeutet hier aber meines Erachtens, verantwortungsvoll mit dem eigenen Bias, also den unbewussten Vorbehalten und Vorurteilen, umzugehen. Aber gehen wir doch mal einen Schritt weiter rein – auf die Teamauswahl allein lässt sich die gläserne Decke ja nicht reduzieren: Ein Teil der Wahrheit ist auch, dass viele Frauen bestimmte Unternehmens- oder Teamkulturen als nicht attraktiv oder unangenehm empfinden.

Ulf:
Sind diese Atmosphären nur für Frauen unangenehm oder äußern sie das eher als Männer?
Lisa:
Das finde ich eine gute Gegenfrage, schließlich sprechen auch immer mehr Männer und Menschen anderer geschlechtlicher Identitäten über ihre Negativerfahrungen mit toxischer Männlichkeit. Ich möchte dir das aber trotzdem nicht ganz so durchgehen lassen: Sexismus am Arbeitsplatz und auch anderswo dient in erster Linie dazu, Frauen einen den Männern untergeordneten Platz zuzuweisen.

Ulf:
Das möchte ich mit meiner Frage auch nicht abstreiten! Darauf zu achten, dass Büros – aber auch Meetings – sichere Räume sind, in denen sich niemand übergriffigem Verhalten ausgesetzt fühlt, das ist und bleibt herausfordernd. Was ich aber für falsch halte, ist es, Frauen pauschal bestimmte Bedürfnisse oder Abneigungen zuzusprechen. Das erscheint mir auch nicht respektvoll. Denn damit könnte man ja auch suggerieren, dass sie „als Frauen“ in bestimmten Arbeitskulturen einfach nicht erfolgreich sein können, selbst wenn sie sich dafür entscheiden.
In einer künstlichen Dichotomie zwischen männlichem (negativen) und weiblichem (positiven) Führungsverhalten fühle ich mich generell unwohl – das kann doch nicht die Antwort sein! Denn in meiner Erfahrung sind die individuellen Unterschiede viel dominanter. Und die gehen dabei ganz verloren. Ist ein Mann, der “feminin” führt, dann weniger männlich? Hat eine Frau, die besonders tough ist, dann nur gelernt, ihre weibliche Seite zu verstecken?
Lisa:
Diese Dichotomisierung ist immer ein zweischneidiges Schwert. Ich nehme es persönlich als besondere Herausforderung wahr, einerseits auf Unterdrückungsstrukturen aufgrund von tatsächlichen oder zugeschriebenen Merkmalen hinzuweisen, andererseits aber die Gegenüberstellung nicht zu reproduzieren. Ich als weiße, heterosexuelle cis-Frau mache in bestimmten Situationen andere Erfahrungen als eine homosexuelle und/oder eine Schwarze Kollegin.
Aber auch weit über diese Vielfaltsdimensionen hinaus bringen wir als Menschen unterschiedlichen Päckchen an Erfahrungen mit, die unsere Perspektiven und unsere Wahrnehmung prägen. So kann es auch passieren, dass ich das Auftreten eines männlichen Kollegen in Gruppensituationen als unangenehm und toxisch empfinde, während eine andere Kollegin dies nicht tut. Im Nebeneinanderstellen der verschiedenen Wahrnehmungen können wir dann um einen guten Umgang mit solchen Situationen ringen.
Ulf:
Es gibt keine einfachen Antworten auf diese Herausforderungen – zumindest habe ich sie noch nicht gefunden. Ich verstehe uns da eher im Modus des Experiments. Im Women Leadership Lab, einem Weiterbildungsprogramm, das wir mit FAIR SHARE und weiteren committed Organisationen gemeinsam entwickelt haben, fände ich es in diesem Sinne enorm wichtig, wenn das Thema Macht einen besonderen Platz findet.
Wir sind immer noch viel zu sehr bei den Formalia von Führung und den offensichtlichen Hürden für Frauen. Die wahrscheinlich viel höheren Hürden, die auch schwerer zu bearbeiten sind, sind die impliziten, unsichtbaren. Machstrukturen und Status-Verhalten sind Fallstricke, die wir immer noch unterschätzen. 
[1]
Wir (Teach First Deutschland, Anm.d.R) haben hier bewusst nicht einheitlich gegendert, weil wir dies auch in Wirklichkeit nicht tun. Wir glauben, dass gerade unsere unterschiedlichen Perspektiven zu Fragestellungen wie dem Gendern zu besonders bereichernden Gesprächen führen.

Das Women Leadership Lab

Um die Führungsetagen der deutschen Zivilgesellschaft nachhaltig diverser zu gestalten und mehr Frauen für mögliche Führungspositionen vorzubereiten, soll die nächste Generation von Frauen in Führungsrollen entwickelt, gestärkt und vernetzt werden. Dafür hat FAIR SHARE of Women Leaders gemeinsam mit der BMW Foundation und committed Organisationen wie die Heinz Sielmann Stiftung, Teach First Deutschland, ADRA Deutschland und Campact e.V. ein Leadership-Weiterbildungsprogramm kreiert.