Unsere Arbeitsdefinition der Zivilgesellschaft

Mit unserem FAIR SHARE Monitor wollen wir dazu beitragen, die Geschlechterverteilung und strukturelle Überrepräsentation von Männern in Führungspositionen in der Zivilgesellschaft transparent zu machen. Doch wer ist eigentlich mit „Zivilgesellschaft“ gemeint?

Unser Untersuchungsgegenstand und die zugehörigen Definitionsvorschläge sind in der Tat vielfältig, sodass wir im Folgenden unsere derzeitige Arbeitsdefinition für unser Monitoring darlegen möchten. Sie ist eine selbstgesetzte, anwendungsorientierte Synthese aus verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen sowie Gesprächen mit Praktiker*innen aus dem Sektor.

Die Zivilgesellschaft ist eine „Arena kollektiven Handelns in der Gesellschaft neben denen des Marktes und des Staates“[1]. Die in diesem Bereich agierenden Akteur*innen „[weisen] ein Mindestmaß an Autonomie von [staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen] auf[..]“ und ihre Aktivitäten zielen auf „die Gestaltung politischer Prozesse und/oder sozialer Lebensbedingungen [ab]“ [2]. Statt Profit zu maximieren, fokussieren sich zivilgesellschaftliche Organisationen auf die Erhaltung des Gemeinwohls und die langfristige soziale Wirkung ihrer Arbeit.

Auf dieser Grundlage wird klar, dass der Status der Gemeinnützigkeit nicht der alleinige Faktor bei der Zuordnung von Organisationen zur Zivilgesellschaft sein kann. Laut der Maecenata Stiftung, einem unabhängigen Think-Tank zum Themenfeld Zivilgesellschaft, Bürgerengagement, Philanthropie und Stiftungswesen, zeichnen sich die etwa 800.000[3] der Zivilgesellschaft zugehörigen Organisationen in Deutschland, wovon laut der ZiviZ Bestandsaufnahme 2023 656.888 eingetragene Vereine sind[4], durch eine Reihe an Merkmalen aus:

  • auf Freiwilligkeit gegründet,
  • verfolgen subjektiv Ziele des allgemeinen Wohls,
  • nehmen keine staatlichen i.S. von hoheitlichen Aufgaben wahr,
  • sind nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet,
  • schütten Überschüsse aus ihrer Tätigkeit nicht an Mitglieder, Gesellschafter oder Dritte aus,
  • handeln selbstermächtigt und selbstorganisiert,
  • sind zu einem wesentlichen Teil auf Geschenke von Empathie, Zeit, materielle Ressourcen und andere angewiesen.

Auch der Blick auf die Rechtsform einer Organisation kann sich als hilfreich bei der Zuordnung erweisen, wobei das deutsche Recht bei der Institutionalisierung von bürgerschaftlichem Engagement eine Reihe an Möglichkeiten bietet. So kommen folgende Rechtsformen in der Zivilgesellschaft vor:

  • Eingetragene oder nicht rechtsfähige Vereine und (Dach)Verbände
  • (Nicht) rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts
  • Gemeinwohlorientierte Genossenschaften
  • Gemeinnützige Kapitalgesellschaften
    • gemeinnützige GmbH (gGmbH)
    • gemeinnützige Unternehmergesellschaft (gUG)
    • gemeinnützige Aktiengesellschaft (gAG)
  • Gesellschaften bürgerlichen Rechts (gGbR)

Als Sammelbegriff für diese Organisationen nutzen wir den Ausdruck zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGOs). Darauf aufbauend unterscheiden wir im FAIR SHARE Monitor die folgenden Organisationskategorien (Entitäten), die in der Öffentlichkeit geläufiger sind und die das Selbstverständnis der Organisationen widerspiegeln:

  • Vereine
  • Non-Governmental Organisation – NGO (Nichtregierungsorganisationen)
  • Stiftungen
  • Wohlfahrtsverbände
  • Gewerkschaften
  • Dachverbände
  • Sozialunternehmen
  • Soziale Bewegungen und gemeinwohlorientierte Initiativen

Zur weiteren Differenzierung unterscheiden wir darüber hinaus im FAIR SHARE Monitor nach den folgenden Tätigkeitsfeldern :

  • Kunst und Kultur
  • Wohlfahrtspflege und Gesundheitsversorgung
  • Ökologische Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz, Tier- und Artenschutz
  • Menschen- und Bürger*innenrechte und Demokratieförderung
  • Internationale Zusammenarbeit und humanitäre Hilfe
  • Bildung
  • Sport
  • Sonstiges

Wir verstehen uns als eine lernende Organisation, tauschen uns regelmäßig mit unseren Netzwerkpartner*innen zu Weiterentwicklungsmöglichkeiten des Monitorings aus und unternehmen in diesem Sinne immer wieder prototypische Versuche, die wir anschließend reflektieren, erweitern oder auch beenden. So haben wir im FAIR SHARE Monitor 2023 zum Beispiel einen Blick auf die Geschlechterverteilung in Stiftungen öffentlichen Rechts geworfen. Mit etwas Abstand und nach weiteren Gesprächen haben wir uns jedoch da sie zu den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zählen, wie Behörden aufgebaut sind und funktionieren, politisch besetzte Ämter haben und trotz der Themen, die sie bearbeiten, strukturell eher dem Staat als der Zivilgesellschaft zuzuordnen sind. Auch wissenschaftliche Forschungseinrichtungen, die sich in ihrem Selbstverständnis tendenziell von der Zivilgesellschaft abgrenzen und sich als eigenen Bereich wahrnehmen werden wir zukünftig nicht mehr im Monitoring untersuchen.

Die Arbeit in diesen Organisationen wird sowohl durch hauptamtlich als auch ehrenamtlich tätige Person geleistet. Jedoch beschäftigen derzeit lediglich 27% der ZGOs bezahlte Mitarbeiter*innen.[5] Unser Monitoring nimmt im Hinblick auf die Geschlechterrepräsentation in Führungspositionen diese Gruppe in den Blick, da hauptamtliche Mitarbeiter*innen zumeist mehr, längerfristig und und unmittelbarer Gestaltungsmacht auf die Organisationsstrukturen haben. Das engagement der rund 16 Millionen [6] ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen ist für die ZGOs zwar unerlässlich, doch zumeist punktuell und kurzzeitig, sodass die Datenlage sehr fluid und lückenhaft ist. Jedoch zählen wir auch die überwiegend ehrenamtlichen Aufsichts- oder Kontrollgremien der Organisationen, denen gegenüber eine Geschäftsführung Rechenschaft ablegen muss und die Einfluss auf die Stellenbesetzung nehmen, zu der höchsten Führungsebene dazu und untersuchen sie im Rahmen des Monitorings

Während der deutsche FAIR SHARE Monitor sich auf in Deutschland ansässige ZGOs mit lokalem bis hin zu transnationalem Wirkungsbereich bzw. die deutschen Sektionen global agierender Organisationen konzentriert, untersucht der internationale FAIR SHARE Monitor die Zentralsekretariate sowie die Gesamtheit aller nationalen Sektionen der größten global agierenden ZGOs.

Quellen:

[1] Rupert Graf Strachwitz (2020): “Basiswissen Zivilgesellschaft”. Maecenata Stiftung, Opusculum Nr.140, S. 6.

[2] Annette E. Zimmer, Ruth Simsa (2014): “Forschung zu Zivilgesellschaft, NPOs und Engagement: Quo vadis?”. S. 21.

[3] Rupert Graf Strachwitz (2020): “Basiswissen Zivilgesellschaft”. Maecenata Stiftung, Opusculum Nr.140, S. 5.

[4] https://www.ziviz.de/sites/ziv/files/ziviz-survey_2023_hauptbericht.pdf, S. 2

[5] https://www.ziviz.de/sites/ziv/files/ziviz-survey_2023_hauptbericht.pdf, S. 36

[6] https://de.statista.com/themen/71/ehrenamt/