13. Dezember 2023

Wie es sich anfühlt, feministisch zu arbeiten

Eva Schwan blickt zurück auf ihr viermonatiges Praktikum bei FAIR SHARE
Autorin: Eva Schwan, Praktikantin bei FAIR SHARE of Women Leaders, September – Dezember 2023

Nach vier Monaten geht mein Praktikum bei FAIR SHARE nun langsam zu Ende und ich möchte euch einen Einblick geben, was ich in dieser Zeit erlebt habe. Da meine Erfahrungen sehr persönlich sind und auch von meinen Erwartungen abhängen, erzähle ich zu Beginn am besten, in was für einem Kontext ich mich für ein Praktikum bei FAIR SHARE beworben und entschieden habe.

Eva Schwan | Bildnachweis ©Lea Schiewer

Wonach habe ich bei meinem Praktikum gesucht? 

Das Praktikum ist Teil meines Studiums Human Ecology, in dem ich den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Systemen und dem Klimawandel aus sozialwissenschaftlicher Perspektive analysiere. Hierfür verwenden wir in der Forschung unterschiedliche Perspektiven und Theorien, um unsere Gesellschaft zu begreifen und verstehen. Feministische Theorien sind einige von vielen Perspektiven, um diese Fragestellungen zu beantworten. Es ist für mich superspannend mich mit solchen Theorien zu beschäftigen und mehr über feministische Werte zu erfahren. Jedoch habe ich dabei Einbettung in einen realen Arbeitskontext vermisst, die es braucht, um feministische Werte nicht nur abstrakt zu erfassen, sondern auch praktisch angewandt zu erleben. Deswegen habe ich für dieses Praktikum nach einer kleinen Organisation gesucht, bei der feministische Prinzipien sowohl die Organisationskultur bestimmen als auch die inhaltliche Arbeit ausmachen. FAIR SHAREs Schwerpunkt der feministischen Organisationsentwicklung hat mich sehr interessiert und ich wollte mehr darüber lernen, wie diese Arbeit auch innerhalb der Organisation umgesetzt wird.

Wie verlief der Einstieg? 

Ein neuer Arbeitskontext ist immer erstmal aufregend, ungewohnt und solche Situationen liegen für mich grundsätzlich außerhalb meiner Komfortzone. Bei FAIR SHARE wurde ich sehr herzlich empfangen und habe mich von Anfang an sehr wohl gefühlt. Trotzdem brauchte ich ein bisschen Zeit, um in die Arbeit zu finden und zu verstehen, wie genau gearbeitet wird und was die verschiedenen Aufgabenbereiche ausmacht. So war in den ersten Wochen natürlich manchmal auch ein bisschen Überforderung und Ungewohntes dabei. Ich habe die Zusammenarbeit insgesamt als sehr wertschätzend und herzlich empfunden. Und schließlich ist es auch Teil feministischer Arbeit, Unwohlsein zuzulassen und einen Weg zu finden, damit umzugehen. 

Was waren meine Aufgaben? 

Während der vier Monate habe ich eine Reihe an unterschiedlichen Tätigkeiten ausgeübt. Thematisch war ich vor allem an der Ausarbeitung eines machtkritischen Klimakonzepts für FAIR SHARE und Recherchearbeit für feministisches Fördermittelakquise beteiligt. Im Arbeitsbereich Klimagerechtigkeit und Feminismus war ich Teil einer Austauschrunde mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, bei der wir über innere Arbeit und Programmarbeit im Klimabereich gesprochen haben. Zusätzlich habe ich diverse kleine Recherchearbeiten für Arbeitsbereiche wie Fundraising, den FAIR SHARE Monitor oder Kommunikation erledigt und die Organisation eines Community-Workshops unterstützt. Auch habe ich für die interne Organisationsentwicklung von FAIR SHARE recherchiert, wie Bezahlungsstrukturen feministisch gestaltet werden können.  

Generell habe ich sehr selbstständig in Zusammenarbeit mit anderen Menschen im Team gearbeitet. Ich konnte meinen Arbeitsalltag frei gestalten und meinen Bedürfnissen anpassen. Für mich war es wichtig, dass ich zum Sport gehen kann und so je nach Zeit früher oder später anfangen konnte. Außerdem gibt es sehr viel Verständnis dafür, dass nicht jeder Arbeitstag gleich produktiv ist und es ganz natürliche Schwankungen gibt. Da FAIR SHARE eine remote-first Organisation ist und die Teammitglieder in verschiedenen Städten und Ländern arbeiten, war meine Arbeit sowohl örtlich als auch zeitlich recht flexibel möglich. Generell ist Kommunikation sehr wichtig und mein Praktikum hat stark auf Vertrauensbasis funktioniert. Diese freie Arbeitsgestaltung war für mich nichts neues, weil es sehr an ein Studium erinnert. Aber für mich war die Kombination aus Zusammenarbeit und mehr Flexibilität neu und ich musste mir angewöhnen transparent zu anderen über meine Arbeitsschritte zu sein. Nachdem ich mich dran gewöhnt habe, hat diese Weise mir auch das Gefühl vermittelt, dass die Arbeitsweise sehr kollaborativ ist und den Druck von meinen Schultern genommen.  

Was macht ein Praktikum bei FAIR SHARE aus? 

FAIR SHARE bietet Praktikant*innen einen Einblick in die Welt feministischer Arbeit und die Herausforderungen und Chancen, die diese für ein Team bergen. Thematisch gibt es viele unterschiedliche Bereiche, in denen eine strukturell-feministische kritische Perspektive angewendet wird mit einem Schwerpunkt auf feministischer Führungskultur. Von einem feministischen Umgang mit Daten bis zu theoretischen Überlegungen zu feministischer Führungskultur gibt es sehr viele unterschiedliche Themen, die bearbeitet werden. Ich persönlich habe einen Einblick in verschiedene Bereiche bekommen, und es gehört bei einer kleinen Organisation auch dazu, sich bei Aufgaben auszuhelfen. Für mich war das sehr spannend, weil ich an der Entwicklung von Organisationen und Veränderungen innerhalb dieser interessiert bin und bei FAIR SHARE habe ich das Gefühl, dass diese Ebenen in allen Themenbereichen vorkommen und ich immer etwas lernen konnte Trotzdem kann mensch auch einen eigenen Fokus setzen.  

Was nehme ich aus der Zeit bei FAIR SHARE mit? 

In vielerlei Hinsicht ist dieses Praktikum genau das, wonach ich gesucht habe. Auch wenn es – egal wo mensch arbeitet oder sich engagiert – immer Möglichkeiten gibt, etwas zu verbessern, habe ich sehr viel über in der Organisationskultur gelebte feministische Werte gelernt. Die Erfahrung hat mein Verständnis von intersektionalem Feminismus verändert und vertieft, da ich die Theorie nun, mit konkreten Maßnahmen, Reaktionen und Ideen verbinden kann. Angefangen beim zwischenmenschlichen Verhalten bis zu strukturellen Aspekten wird immer versucht, die Komplexität feministischer Werte miteinzubringen. Dies hat mich auch zum Nachdenken über meine eigenen bisherigen Annahmen angeregt, was ich als persönlich bereichernd empfand. Bevor ich dieses Praktikum begonnen hatte, stand ich Organisationen und wie sehr sie gesellschaftlichen Systemen zuspielen, die an sich zu sozialen Ungleichheiten führen, sehr kritisch gegenüber. Auch wenn wir immer noch weit entfernt von einer gerechten Gesellschaft sind, habe ich Hoffnung bekommen, dass es Organisationen gibt, die einen systemischen kritischen Ansatz verinnerlicht haben und ungemütlichen Konversationen nicht aus dem Weg gehen. Und das ist einer der wertvollsten Aspekte, die ich mitnehme: das Gefühl von Hoffnung in einer Welt voller multipler Krisen. Dieses Gefühl rührt nicht nur von der Arbeit von FAIR SHARE her, auch vom Netzwerk, welches das Team in den letzten Jahren aufgebaut hat, strahlt Veränderungswillen und Tatendrang aus. So steht die Arbeit von FAIR SHARE nicht allein dar, sondern ist integriert in ein System von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die keine Angst vor Konfrontationen haben.  

Darüber hinaus hat die Arbeit auch sehr viele Reflektionen in mir selbst dahingehend ausgelöst, wie ich als Mensch in der Gesellschaft wirke und mich mit Themen konfrontiert, bei denen ich meine eigenen Gefühle und Ansichten noch weiter hinterfragen möchte. Dies empfinde ich als sehr aufschlussreich. So beende ich das Praktikum vor allem mit sehr viel Dankbarkeit, dass ich als Teil des Teams all diese Erfahrungen mitnehmen konnte und bin gespannt, wo mich die Zukunft hinbringt! 

 

Mehr zu Feminist Leadership

Feminist Leadership, oder auch Feministische Führungskultur, ist ein Konzept, das vorwiegend von Frauen und Frauenrechtsbewegungen aus dem Globalen Süden entwickelt und praktiziert wurde. Über die letzten Jahren hielt dieses Konzept Einzug in den internationalen sozialen Wirkungssektor. Auch FAIR SHARE of Women Leaders arbeitet zur praktischen Umsetzung von Feminist Leadership, zuletzt mit der Publikation “Agenda für den Wandel” und einer 8-wöchigen Webinarreihe zu verschiedenen feministischen Prinzipien.