Mar 13, 2024 |

Klimaschutz braucht feministische Gerechtigkeit

Dieser Artikel wurde im Oktober-November 2023 verfasst und ist Teil einer Interviewserie, die von Miriam Mona Mukalazi durchgeführt wurde. In diesem Artikel diskutieren Aluna Minga und Katy Wiese, wie eine Perspektive der Klimagerechtigkeit das Potenzial hat, gegenwärtige feministische Außen- und Entwicklungspolitiken zu beeinflussen.

Dieser Beitrag legt den Fokus auf Klimagerechtigkeit als Potenzial für eine feministischen Außen- und Entwicklungspolitik. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie das Auswärtige Amt (AA) verfügen beide über progressive feministische Strategien auf dem Papier. Dennoch sind viele Ansätze, noch nicht in konkrete Maßnahmen umgesetzt worden. Aus diesem Grund habe ich mich mit den Feministinnen Gina Cortés Valderrama und Katy Wiese zusammengesetzt. Gina Cortés Valderrama ist eine kolumbianische Aktivistin und ist Teil des kolumbianischen Kollektivs Aluna Minga und Co-Focal Point des UNFCCC Women and Gender Constituency. Katy Wiese ist Projektmanagerin für ökonomische Transformation und Geschlechtergerechtigkeit beim European Environmental Bureau in Brüssel. Beide greifen Beispiele auf, was es konkret bedeuten kann sich für feministische Klimastrategien in Deutschland, in der Europäischen Union (EU) und den Vereinten Nationen (VN) einzusetzen. Sie sind beide von den grundsätzlichen Prinzipien feministischer Außen- und Entwicklungspolitik überzeugt, sehen jedoch große Lücken bei der Implementierung. Vor allem in den Bereichen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit, der Energiewende oder der Kompensation für die klimawandelbedingten Schäden und Verluste. Für all diese Themen und Prinzipien sind feministische Perspektiven unabdingbar, um die Klimakrise zu bekämpfen. 

Deutschlands feministische Strategie zur Bekämpfung der Klimakrise 

Für Deutschland ist seine feministische Außen- und Entwicklungspolitik „kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck“. Aber was bedeutet dieses Mittel zum Zweck konkret für Deutschlands Klimapolitik? Das BMZ und AA haben sich beide zu dem feministischen Grundsatz verpflichtet, Machstrukturen zu hinterfragen. Des Weiteren erkennen sie in deren offiziellen Strategien den Zusammenhang von Machtstrukturen und Klimaungerechtigkeit an: 

Den Machtungleichheiten innerhalb von Gesellschaften liegen tiefgreifende strukturelle und oftmals miteinander verbundene Systeme zugrunde, wie das Patriarchat, Rassismus, Sexismus, Ableismus oder Klassismus. Diese Systeme halten gewaltvolle und ungleiche Machtstrukturen auf recht. In den Ländern des Globalen Südens stehen sie auch in Zusammenhang mit dem europäischen Kolonialismus und kolonialen Denkmustern,…

die bis heute nachwirken. So ist die Abwertung von Wissensund Bildungssystemen im Zuge des Kolonialismus ein Grund dafür, dass beispielsweise indigenes Wissen bis heute nicht angemessen in Lösungen für die Klimakrise einbezogen wird.

(siehe Strategie der Feministischen Entwicklungspolitik des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 2023, S.10)  

Mit Jennifer Morgan als Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik verfestigt das AA eine klimaorientierte Diplomatie. Morgans Aufgabe ist es Gender Mainstreaming in alle globalen Fragen bezüglich der Klimakrise zu verankern. Dazugehören Deutschlands Bestrebungen bezüglich des Climate Action Plan der VN oder auch die Klimadimension von Flucht, Migration und Vertreibung im Khartum-Prozess der EU besonders hervorzuheben (siehe Feministische Leitlinien des Auswärtigen Amtes, 2023, S. 48). Beide dieser Strategien verdeutlichen, dass Deutschland anerkennt, wie die Klimakrise Menschen unterschiedlich betrifft und vulnerabel macht. Trotzdem betonen Gina Cortés Valderrama und Katy Wiese, dass immer noch eine sehr große Diskrepanz zwischen den feministischen Leitlinien auf Papier und der tatsächlichen Umsetzungen feministischer Werte durch Politiker*innen existiert. Beide Feministinnen teilen daher ihre Erfahrungen, auf welche Art und Weise sie von der EU oder den VN Klimaschutzmaßnahmen fordern, aber auch wie sie selbst feministische Führungsstile in ihrer eigenen Arbeit praktizieren.  

Es gilt den Mut aufzubringen Institutionen herauszufordern 

Die Klimakrise mit all ihren Auswirkungen auf globaler Dimension, kann nicht alleine von einem Land bewältigt werden. Auch auf EU und VN Ebene versucht Deutschland daher eine feministische Perspektive in die Klimapolitik einzubringen. Obwohl die EU und die Mitgliedsstaaten sich zur Klimaneutralität 2050 verpflichtet haben, sind im 2019 European Green Deal (EGD) keine feministischen Perspektiven vorhanden. Aus diesem Grund ist es immens wichtig, dass Deutschland sich genau jetzt für feministische Maßnahmen auf EU-Ebene einsetzt. Zusammen mit anderen Klimaaktivist*innen und Analyst*innen veröffentlichte Katy Wiese einen Bericht, der für ökofeministische Perspektiven bei der Umsetzung des EGDs plädiert. Die Autor*innen formulieren konkrete ökofeministische Maßnahmen, wie beispielsweise ein feministisches Wirtschaftssystem der Care Arbeit und des Wohlergehens aussehen kann. Der Bericht greift aber auch politische Empfehlungen auf. Beispiele sind Reduktionsmaßnahmen für toxische Chemikalien oder wie Energiearmut bekämpft werden kann. Mit der Veröffentlichung konnten Wiese und ihre Mitautor*innen praktische Umsetzungsmöglichkeiten an ranghohe europäische Politiker*innen wie Delara Burkhardt (Mitglied des Europäischen Parlaments), Leonore Gewessler (Österreichische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) oder Kata Tüttő (stellvertretende Bürgermeisterin von Budapest und Berichterstatterin für Gender und Klima, Europäischer Ausschuss der Regionen) herantragen. Diese Beispiele von Katy Wiese verdeutlichen nochmal einen entscheidenden Aspekt feministischer Lobbyarbeit. Es ist eine wichtige Rolle der Zivilgesellschaft den Status Quo der Politik zu hinterfragen. Deshalb müssen Politiker*innen, die ihre Politik als feministisch bezeichnen, Zeit in den Austausch mit feministischen Akteur*innen investieren. Jedoch entscheiden sich nicht alle Politiker*innen für Konsultationen mit der feministischen Zivilgesellschaft.

Es ist eine wichtige Rolle der Zivilgesellschaft den Status Quo der Politik zu hinterfragen. Deshalb müssen Politiker*innen, die ihre Politik als feministisch bezeichnen, Zeit in den Austausch mit feministischen Akteur*innen investieren.

So berichtet Gina Cortés Valderrama, wie schwierig es sich gestalten kann mit Politiker*innen bei der VN Klimakonferenz in den Austausch zu treten. Im Allgemeinen haben zivilgesellschaftliche Akteur*innen nur bedingten Zugang zu den Verhandlungen bei der Konferenz. Klimaaktivist*innen haben daher unterschiedliche Methoden, um ihre Forderungen zu äußern. Ein Beispiel ist der Protest der Zivilgesellschaft bei der Klimakonferenz (COP 28) in Dubai, bei dem Feminist*innen ihre Wut und Frustration zum Ausdruck gebracht haben. Gleichzeitig betont Gina Cortés Valderrama, dass man nicht automatisch laut und wütend sein müsse, um die Institutionen herauszufordern. Wir stellen auch kritische Fragen, um dann das Schweigen der Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen als Statement nutzen”, fügt sie hinzu. Oft geht es auch darum sich genau zu überlegen, wie feministische Forderungen strategisch kommuniziert werden können, sodass Politiker*innen diese tatsächlich verstehen. Es geht also nicht nur um den Inhalt, sondern auch verstärkt um die Art und Weise wie die Botschaften kommuniziert werden. Um eine möglichst große Reichweite zu generieren, teilen sich feministische Aktivist*innen die verschiedenen Bereiche der Interessensvertretung auf. Wenn es um die klimabedingten Schäden und Verluste geht, dann ist es wichtig eine feministische technische Analyse miteinzubringen. Gleichzeitig ist hierfür aber Massenmobilisierung wichtig ist, um Staaten zur Rechenschaft zu ziehen, wenn diese die ihre Versprechen nicht einhalten. „Es gibt eine enorme Kraft, die uns über alle Bewegungen und Koalitionen hinweg stärkt“, so Gina Cortés Valderrama. 

Es gibt eine enorme Kraft, die uns über alle Bewegungen und Koalitionen hinweg stärkt
– Gina Cortés Valderrama.

Es braucht einen feministischen Führungsstil und gelebte Prinzipien 

Intersektionalität ist zu eines der Schlagwörter feministischer Prinzipien geworden. Katy Wiese betont, dass für sie Intersektionalität immer eine interne als auch eine externe Dimension benötigt, und beide müssen Anerkennung finden: Eine Person kann nicht Intersektionalität von anderen erwarten, wenn die eigene Organisation es nicht einmal versucht. Und die Aufgabe intern Intersektionalität zu praktizieren, ist oft keine einfache.“ So erinnert sich Katy Wiese selbst daran, wie viel Aufwand es benötigte Bewusstsein in ihrer eigenen Organisation für die Notwendigkeit einer intersektionalen Perspektive zu schaffen, um es letztendlich in die Analyse politischer Dossiers mit einzubringen. „Am Anfang organisierten wir Mittagspausen mit kurzen Vorträgen für Mitarbeitende, um zu erklären, warum es notwendig eine intersektionale Perspektive für Klimagerechtigkeit haben.“ Katy Wieses Beispiel verdeutlicht erneut, dass die Umsetzung feministischer Prinzipien viel Durchhaltevermögen benötigt. Feministische Arbeit kann sehr überwältigend und ermüdend sein. Im Alltag müssen sich feministische Akteur*innen entscheiden, welche Themen als akut gelten und priorisiert werden müssen. Gina Cortés Valderrama betont jedoch, wie das Arbeiten in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem uns davon abhält, genauer zu reflektieren, welche Themen tatsächlich angegangen werden müssen. Die Ausdrücke „Dringlichkeit“ oder „politischer günstiger Moment kommen oft in ihrem im Arbeitsalltag vor und erfordern ein sofortiges Handeln. Für Gina Cortés Valderrama ist es daher wichtig, bewusster zu reflektierten, wie wir mit dringenden Krisen, wie der Klimakrise, umgehen können. Feministische Solidarität bei der Bekämpfung der Klimakrise beinhaltet auch eine kollektive Fürsorge. In der Praxis gilt daher feministische Räume des Wohlergehens und der Fürsorge zu schaffen:Ich als Individuum kann nicht alle Krisen gleichzeitig angehen. Ich kann nicht alle Kämpfe kämpfen, die ausgetragen werden sollten. Deshalb sollten wir insbesondere achtsam mit uns selbst umgehen und für unser Wohlergehen sorgen. Gina Cortés Valderrama fügt außerdem noch hinzu, dass feministische Akteur*innen mehr auf das Wissen, den Erfahrungsschatz sowie auf die Macht der unterschiedlichen feministischen Bewegungen vertrauen sollten. Denn unterschiedliche Akteur*innen der feministischen Bewegung schaffen wiederum andere politischen Räume, zu denen andere keinen Zugang haben. Diese global feministische Zusammenarbeit ist wichtiger denn je. Denn obwohl sich einige Regierungen feministische Ansätze auf die Fahne schreiben, sind wir noch weit von einer feministischen Klimagerechtigkeit entfernt 

Die Autor*innen

Katy Wiese

Katy Wiese

Policy Manager for Economic Transition and Gender Equality at the European Environmental Bureau, Belgien.

Gina Cortés Valderrama

Gina Cortés Valderrama

Co-Focal Point of the UNFCCC Women and Gender Constituency, Deutschland.

Portrait of Miriam Mona Mukalazi
Miriam Mona Mukalazi

Miriam Mona Mukalazi ist eine führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der feministischen Sicherheitspolitik. Derzeit ist sie Max-Weber-Post-Doc-Stipendiatin am Robert-Schuman-Zentrum für Höhere Studien am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. In letzter Zeit war sie unter anderem für das Centre for Feminist Foreign Policy, die Weltbank und die EU-Kommission tätig.

Während ihrer Promotion an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf verglich Miriam die Legitimationspraktiken der Afrikanischen Union und der Europäischen Union in Bezug auf Gender-, Friedens- und Sicherheitspolitik. Sie lehrte Feministische Außenpolitik an der Universität zu Köln und war Teil eines Forschungsprojekts an der Philipps-Universität Marburg. Als Gastwissenschaftlerin arbeitete Miriam an der Georgetown University in Washington, D.C. und dem Institute for Peace and Security Studies in Addis Abeba. Darüber hinaus wurde Miriam für die Internationale Karlspreis-Akademie ausgewählt, um Forschungen zur EU-Gleichstellungspolitik durchzuführen. Sie erhielt weitere Stipendien von der Bertelsmann-Stiftung, der ZEIT sowie das Integrationsstipendium der Deutschlandstiftung unter der Schirmherrschaft der deutschen Bundeskanzlerin.

Vor ihrer akademischen Laufbahn arbeitete Miriam bei UN Women Deutschland, wo sie sich auf die UN-Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit spezialisierte. Als Expertin für feministische Sicherheitspolitik wurde sie in den Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages eingeladen.

Außerdem kommentiert Miriam regelmäßig sicherheitspolitische Themen in deutschsprachigen Medien wie SWR, WDR, Deutschlandfunk Nova, Wiener Zeitung und DER Standard.

Kontakt
Website: www.eui.eu/people?id=miriam-mukalazi
Twitter: MiriamMonaMu; EUI_Schuman
LinkedIn: Miriam Mona Mukalazi; Robert Schuman Centre for Advanced Studies
Instagram: Miriam.Mona.Mukalazi; RobertSchumanCentre
BlueSky: @miriammonamukalazi.bsky.social