FAIR SHARE Monitor 2022

 

Teilhabe, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit sind zentrale Ziele zivilgesellschaftlicher Organisationen. Doch werden diese Werte auch in den eigenen Strukturen des Sektors gelebt?

Der FAIR SHARE Monitor misst jährlich den Frauenanteil in Geschäftsleitungen und Aufsichtsgremien von NGOs und Stiftungen und macht transparent, welche Organisationen bereits einen FAIR SHARE in ihren eigenen Strukturen erreichen und welche noch nicht.

 

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Zusammenfassung der Analyseergebnisse

FAIR SHARE Monitor 2022 Ranking

FAIR SHARE Monitor 2022

Analyseergebnisse

Der FAIR SHARE Monitor ist ein datenbasiertes Instrument zur langfristigen Untersuchung des Frauenanteils in den Belegschaften sowie Leitungs- und Aufsichtsgremien zivilgesellschaftlicher Organisationen. Er wird seit 2020 erhoben und bis 2030 jährlich aktualisiert.

Auf Basis der erhobenen Daten erstellen wir eine Reihe von Analysen sowie ein Ranking darüber, welche der Organisationen einen fairen Anteil von Frauen in Führung haben – und welche noch nicht. Die Organisationen werden namentlich aufgelistet und ihre jeweilige Entwicklung von Jahr zu Jahr systematisch dokumentiert. Mit jeder Aktualisierung werden Fortschritte, Stagnation oder Rückschläge in der geschlechtergerechten Besetzung von Führungspositionen transparent gemacht, um diese Veränderungen abzubilden. Für FAIR SHARE ist der Monitor ein neutrales Instrument, an dem sich sowohl die einzelnen Organisationen als auch der Sektor im Allgemeinen messen können.

Die Ergebnisse unserer Analysen haben wir für Sie auch in einem Report zusammengefasst, den Sie herunterladen können.

Rahmendaten zur Erhebung

180 zivilgesellschaftliche Organisationen wurden zur Datenerhebung eingeladen.

Während der erste FAIR SHARE Monitor 2020 rund 80 zivilgesellschaftliche Organisationen in den Blick nahm, ist die Erhebung mittlerweile auf 180 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Stiftungen angewachsen, die zusammengenommen mehr als 900.000 Menschen beschäftigen.

Das aktuelle Ranking umfasst die größten und bekanntesten Organisationen in Deutschland, basierend auf der Liste zum Geldspendenaufkommen des DZI Spenden-Almanachs und der Liste der größten gemeinwohlorientierten Stiftungen des Bundesverbands deutscher Stiftungen.

Wir erheben folgende Daten für den FAIR SHARE Monitor.

Beteilgungsquote fällt erneut mäßig aus.

Wir laden jede Organisation via E-Mail zur Teilnahme, an der Datenerhebung ein. Für den FAIR SHARE Monitor 2022 startete die Erhebung Mitte Januar und dauerte drei Wochen. Auf die erste Einladungen folgen zwei Erinnerungsschreiben im Abstand von einer Woche, wobei wir den Organisationen beim zweiten und letzten Erinnerungsschreiben die Daten vorlegen, die wir selbst in der Zwischenzeit recherchiert haben. Diese Daten können dann von der Organisation geprüft, ggf. korrigiert und bestätigt werden.

Ähnlich wie im vergangenen Jahr reagiert jedoch nur ein Drittel der NGOs und Stiftungen auf unser Gesuch und beteiligt sich aktiv an der Datenerhebung. Die verbleibenden zwei Drittel blieben still und scheinen den Themen Geschlechtergerechtigkeit, Transparenz und Accountability keine Priorität beizumessen. Ganze acht Organisation haben sich auf unsere Einladung hin zurückgemeldet und deutlich gemacht, dass sie im Zuge der Datenerhebung für den FAIR SHARE Monitor nicht von uns kontaktiert werden möchten. Selbstverständlich werden die betroffenen E-Mail Adressen in diesem Fall aus unserem Verteiler entfernt. Die Organisationen bleibt jedoch weiterhin Teil der Untersuchung und wir nutzen die von uns recherchierten Daten. Im Ranking zeigt das Symbol des blauen Hakens an, welche der 180 Organisationen ihre Daten bestätigt haben.

Insgesamt sollte die Erhebung noch vier weitere Organisationen umfassen. Diese mussten wir letztlich aus der Untersuchung entfernen, da wir auf öffentlich zugänglichen Quellen keine Angaben zur Mitarbeiter*innenanzahl finden konnten. Fehlen diese Daten können wir den FAIR SHARE Indexwert nicht berechnen, der maßgeblich für die Rankingposition der jeweiligen Organisation ist. Im kommenden Monitor werden wir prüfen, ob diese Organisation ihre Daten zwischenzeitlich transparent gemacht haben.

Zeit für faire Verhältnisse – Frauen in Führung sind weiterhin unterrepräsentiert

Der Durchschnitt von 180 Organisationen belegt das Ungleichgewicht im Verhältnis von Frauen in der Belegschaft zu Frauen in Führung

Die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen in der deutschen Zivilgesellschaft bleibt eine konstante Größe. Das Verhältnis von etwa 70% Frauenanteil in der Belegschaft zu rund 40% Frauen in Führung ist seit dem Vorjahr stabil geblieben. Auch wenn zahlreiche Organisationen sich der Problematik widmen und Maßnahmen ergriffen haben, um die internen Strukturen chancen- und geschlechtergerechter umzugestalten, die Tendenz zeigt, dass der Sektor insgesamt kaum in Bewegung gekommen ist.

Die Zahlen selbst können nur als Spitze des Eisbergs verstanden werden und als Symptom einer patriarchalen Organisations- und Führungskultur. Es ist klar, dass sich von einem Jahr auf das Folgende keine gravierenden Veränderungen manifestieren werden. Ein Paradigmenwechsel verläuft selten in der erhofften und nötigen Geschwindigkeit. Dennoch sind Veränderungen überfällig – die Zivilgesellschaft muss sich ihrer Verantwortung bewusst werden und den Lippenbekenntnissen Taten folgen lassen. Taten, die sich letzlich auch im Monitoring werden messen lassen. Unser Ziel ist es daher, die Erhebungen für den FAIR SHARE Monitor über einen Zeitrahmen von insgesamt zehn Jahren – parallel zur SDG-Aktiondekade der Vereinten Nationen – durchzuführen und jegliche Bewegungen, seien es Fort- oder Rückschritte, zu dokumentieren und sichtbar zu machen.

Mehr als ein Drittel der Organisationen beschäftigt keine Frau im obersten Leitungsgremium

Es gibt sie: Organisationen, in denen ausschließlich Männer die obersten Entscheidungspositionen bekleiden, obwohl das Gros ihrer Belegschaft und damit auch der Talentpool aus Frauen besteht. Ganzen 66 NGOs und Stiftungen (37%) scheint repräsentative Führung kein Begriff zu sein. Ein deutlich weniger schockierendes Bild geben die Aufsichtsgremien ab. Dort sind es nur neun Organisationen, in denen keine Frau im Gremium vertreten ist.

Frauen haben keine gleichwertigen Aufstiegschancen im Sektor

Neben dem FAIR SHARE Indexwert nutzen wir die durchschnittliche Aufstiegschancen eines Mannes im Vergleich zu einer Frau als weitere Messgröße. Hier wird nochmals deutlich, dass die derzeitige Problematik nicht erst seit gestern besteht, sondern ein systemisches Ausmaß hat. Die Chance eines Mannes, in eine Führungspositionen aufzurücken, liegt im Durchschnitt um ein 4,6-faches höher als für eine Frau. Damit haben sich die Chancen für Frauen seit dem Vorjahr um 0,2 verbessert, auch wenn der Wert nach wie vor erschreckend ist. Der Vergleich zwischen NGOs und Stiftungen wirft den Durchschnitt in ein anderes Licht: NGOs verzeichnen hier eine 4,3 mal höhere Chance, während sie bei Stiftungen um ein 4,8 faches höher liegt.

Mehr zur Aufstiegschance

Die Aufstiegschance gibt an, wie groß die Chance ist, dass ein Mann anstatt einer Frau befördert wird. Die Zahl berücksichtigt die Geschlechterrepräsentation auf der Personalebene jeder Organisation und basiert auf der Annahme, dass bei fairen Beförderungschancen eine ähnliche Repräsentation auf der Führungsebene zu finden sein sollte. Beispiel: wenn 60 % des Personals Frauen sind und eine faire Beförderungschance zwischen Männern und Frauen besteht, dann sollte es 60 % Frauen in der Führungsebene geben.

Diese Zahl wird wie folgt berechnet: Die Aufstiegschance von Frauen und Männern ist die jeweilige Anzahl der Frauen bzw. Männer in Führungspositionen geteilt durch die jeweilige Anzahl der Frauen bzw. Männer in Nicht-Führungspositionen. Die Aufstiegschance von Männern wird dann durch die von Frauen geteilt, um die relative Differenz zu erhalten, d. h. wenn die sich ergebende Zahl über 1 liegt, haben Männer eine höhere relative Chance, eine Führungsposition einzunehmen, und wenn sie unter 1 liegt, haben Frauen eine höhere relative Chance. Liegt die Zahl bei 2, so ist die Chance 2x höher usw.

Es ist klar, dass die Aufstiegschance nur eine Annäherung an die tatsächlichen Verhältnisse sein kann, da sie stets vom Status Quo ausgeht und dadurch eine zeitlich limitierte Zustandsbeschreibung ist.

Zahlenmäßig überlegen – die Nichtregierungsorganisationen

Einer genauerer Blick auf die NGOS, deren Beschäftigtenzahl die der Stiftungen bei Weitem übertrifft und entsprechend die Durchschnitte maßgeblich beeinflusst, offenbart, dass zumindest die Spitzenpositionen in den Führungsgremien zu über 40% mit Frauen besetzt sind. Als Ganzes betrachtet überwiegt in den Leitungsgremien dennoch der Männeranteil.

Immerhin zeigen sich in fast der Hälfte der Organisation paritätische Verhältnisse

Frauen sind nicht die besseren Führungskräfte. Die Qualitäten einer Führungskraft machen sich nicht am Geschlecht der Person fest. Daher ist es nicht unser Anliegen, Männer in Führungspositionen pauschal mit Frauen auszutauschen. Unser Monitoring belegt jedoch das Problem einer jahrhundertewährenden, systemischen Benachteiligung von Frauen, die zahlenmäßig die größte Gruppe aus einer Vielzahl an diskriminierten und marginalisierten Bevölkerungsgruppen stellen. Feminismus zielt auf die Befreiung aller Menschen aus der patriarchalen Unterdrückung hin, so kann und muss Feminismus intersektional gedacht und gelebt werden, um Ungleichheitsverhältnisse jeglicher Art aufzuheben.

Inmitten dieser Vielzahl an benachteiligten Gruppen haben wir den Fokus unserer Erhebung zunächst auf Gender gelegt, da die Datenlage hier eine großflächige Untersuchung erlaubt. Dabei ist uns schmerzhaft bewusst, dass das derzeitige Design der Erhebung Binarität reproduziert und Gender dichotom darstellt. Wir stehen hier noch am Anfang und möchten den FAIR SHARE Monitor in Zukunft weiterentwickeln und mit dem Geschlecht verschränkte Ungleichheitsverhältnisse untersuchen.

 

Männer dominieren weiterhin die Führungsebenen

Bei der Betrachung aller Mitglieder der Führungsgremien über die Positionen des Vorsitzes und der Geschäftsführung hinaus zeigt sich, dass vor allem Aufsichtsgremien mehrheitlich mit Männern besetzt sind. Zumeist bestehen diese Kontrollinstanzen aus einer ungeraden Zahl an Mitgliedern, um bei Entscheidungen eine Patt-Situation zu vermeiden, sodass der oder die Vorsitzende die Mehrheitsverhältnisse entscheidend beeinflusst.

Auch Aufsichtsgremien werden mehrheitlich von Männern geführt

Es lässt sich ein leichter Anstieg bei der Zahl der Frauen, die als Vorsitzende eines Aufsichtsgremiums fungieren, verzeichnen. Hierbei werden jedoch nur die tatsächlichen vorsitzenden Personen berücksichtigt. Stellvertreter*innen werden nicht gesondert untersucht, stattdessen werden sie zu den weiteren Mitgliedern des Gremiums gezählt und werden damit nur im generellen Geschlechterverhältnis einkalkuliert.

Stiftungen ziehen den Durchschnitt runter

Die separate Betrachtung der Stiftungen bringt zu Tage, dass das Verhältnis der Frauenaneile in Belegschaft und Führung deutlich weiter auseinanderklafft als bei den NGOs. Nicht einmal ein Viertel der Stiftungen bestellt eine Frau als Vorsitzende ihres Aufsichtsgremiums. Zumindest liegen die Stiftungen bei der Frage nach co-leadership mit einem Anteil von 34% nicht weit hinter den NGOs zurück.

Geschlechtergerechte Repräsentation sieht anders aus

Nur 30 von 180 Organisationen haben einen fairen Frauenanteil auf Führungsebene

Der FAIR SHARE Indexwert zeigt an, wie repräsentativ die Führungseebene einer Organisation im Verhältnis zu ihrer Belegschaft hinsichtlich der Geschlechterverteilung aufgestellt ist. Einen fairen Anteil von Frauen in Führung proportional zum Personal bezeichnen wir als FAIR SHARE. Ein Wert von 0,0 bedeutet, dass die Frauenanteile auf beiden Ebenen mind. 50% betragen und einander entsprechen. Da sich der Wandel hinzu mehr Geschlechtergerechtigkeit jedoch nicht über Nacht vollzieht und viele Organisationen tatkräftig auf das Ziel der fairen Repräsentation hinarbeiten, setzen wir die Messgrenze für den FAIR SHARE bei einem Indexwert von derzeit 15,0. Anhand dieses Indexwertes haben wir ein Ranking der 180 untersuchten Organisationen erstellt, das transparent macht, wie repräsentativ deren momentane Geschlechterverteilung ist.

Macht die Organisationsgröße (Mitarbeiter*innenzahl) einen Unterschied beim FAIR SHARE Indexwert?

In Zukunft möchten wir die Organisationsgröße stärker als Unterscheidungskriterium hinzuziehen. Vor diesem Hintergrund haben wir aufgrund der Verteilung der Mitarbeiter*innenanzahl sechs Cluster bilden können und deren durchschnittlichen Indexwerte miteinander verglichen. Interessanterweise weisen NGOs und Stiftungen mit einer Belegschaft von 100 – 1.000 Personen mit 38,4 und 36,8 derzeit die besten FAIR SHARE Indexwerte vor, während kleinere Organisationen einen Durchschnittswert von mind. 40 erzielen. Die großen Ausreißer sind in diesem Fall auch die mitarbeiter*innenstärksten Organisationen, wobei sich ab der Grenze von 10.000 Beschäftigten der Indexwert von 604, auf 50,4 nochmals deutlich reduziert.

NGOs haben häufiger einen FAIR SHARE als Stiftungen

Die Unterscheidung zwischen NGOs und Stiftungen macht deutlich, dass eine faire Repräsentation von Frauen in Führung häufiger bei den Nichtregierungsorganisationen zu finden ist.

Signifikaten Verbesserungen lassen auf sich warten

Von den 180 untersuchten Organisationen waren 146 bereits im Vorjahr Teil der Untersuchung. Wir haben ihre Indexwerte nebeneinander gelegt, um die Bewegung innerhalb des Sektors mess- und sichtbar zu machen. Hierbei haben wir eine Veränderung des Indexwertes um mind. 10%, sei es auf- oder abwärts, als signifikant eingestuft. In mehr als der Hälfte der Organisationen kam es demnach zu keinen namhaften Veränderungen innerhalb eines Jahres. Sowohl bei den NGOs als auch bei den Stiftungen halten sich die Zahl der Auf- und Absteiger die Waage. Hervorzuheben ist, dass 12 Organisationen es seit dem vergangenen Jahr geschafft haben, einen FAIR SHARE zu erreichen, während neun Organisationen ihren Indexwert derart erhöht haben, dass sie nicht mehr mit dem FAIR SHARE Status bewertet werden können.

 

Gemeinsam mit Vorreiterorganisationen gestalten wir den Wandel

Diese 20 NGOs und Stiftungen arbeiten aktiv auf geschlechtergerechte Führungsetagen hin

Es braucht zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für Chancengerechtigkeit und Teilhabe einsetzen und diesen Anspruch auch in den eigenen Strukturen leben, um  die Glaubwürdigkeit des Sektors dauerhaft zu bewahren. Ohne den Willen der derzeitigen Entscheidungsträger, etwas zu verändern, sich zu öffnen – und auch langfristig Macht umzugestalten, geht der Wandel nur zäh voran. Daher möchten wir hier eine Organisationen in den Vordergrund stellen, die Thema Geschlechtergerechtigkeit als ihre Aufgabe verstanden und sich mit der Unterschrift des FAIR SHARE Commitments öffentlich dazu bekannt haben, bis spätestens 2030 repräsentative Führungsebenen aufgestellt zu haben. Von diesen 20 NGOS und Stiftungen haben derzeit acht einen FAIR SHARE.