17. Mai 2023

Was verbindet Intersektionalität, digitale Transformation und Nachhaltigkeit? 

Große Zukunftsfragen und ihr Einfluss auf feministische Führungsansätze
Autor*in: Lea Holst, Projektmanagerin FAIR SHARE of Women Leaders

Am 3. Mai 2023 haben wir einen Online-Workshop zum Thema „Einfluss aktueller Diskurse auf Organisations- und Führungskultur: Intersektionalität, digitale Transformation und Nachhaltigkeit” in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung Gleichstellung durchgeführt. Im Rahmen unseres gemeinsamen Projektes zur Erstellung einer ersten deutschsprachigen Expertise zu Ursprüngen, Entwicklung und Anwendung feministischer Perspektiven auf Führungs- und Organisationskultur bringen wir in drei Terminen Expert*innen und Praktiker*innen zusammen. 

Loubna Messaoudi, Gründerin/CEO, BIWoC* Rising © Nella Aguessy
Julia Kloiber, Managing Director, superrr lab © Marzena Skubatz
Sheena Anderson, Project Manager, CFFP/Black Earth Collective © Miriam Klingl

Intersektionalität ist nicht nur Theorie, sondern Praxis

Loubna Messaoudi ist die Gründerin und CEO von BIWoC* Rising, und setzt sich täglich mit den intersektional-strukturellen Benachteiligungen und Privilegien auseinander, die die heutige Organisations- und Führungskultur prägen. Intersektionalität betrachtet die Schnittmengen der drei wichtigsten globalen Herrschaftssysteme Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus und zeigt auf, dass daraus konstruierte sozialen Kategorien und Identitätsmerkmale nicht unabhängig voneinander existieren, sondern sich beeinflussen und verstärken. Deshalb müssen verschiedene Unterdrückungsmechanismen wie z.B. Rassismus, Klassismus und Geschlechterungerechtigkeiten gemeinsam betrachtet werden.  

Mit Blick auf Organisations- und Führungskultur verlangt eine intersektionale Perspektive, soziale Gerechtigkeit und Chancengerechtigkeit durch einen Strukturwandel herbeizuführen anstatt durch Reformen. Das Ziel sei es:  

„Nicht eine Ausnahme schaffen und im System bleiben, sondern die Struktur von Grund auf verändern, um Machtpositionen nachhaltig zu prägen. Das geht über Repräsentation hinaus (…) und ist für mich das Entscheidende in einer Führungskultur: Das es nicht darum geht unsere Gesellschaft so wie es ist mit anderen Identitäten zu führen, sondern unsere Gesellschaft wirklich gerechter zu machen mit einer bestimmten Führungskultur, eben mit einer intersektional-feministischen.“ 

Loubna Messaoudi, Gründerin und CEO, BIWoC* Rising 

Digitalisierung feministisch denken

Julia Kloiber ist Managing Director bei superrr lab, einer feministischen Organisation, die sich dafür einsetzt, Digitalisierung gerecht und sozial zu gestalten. Sie sieht den Fachkräftemangel als Chance für Veränderungen hin zu einer gerechteren Organisationskultur, weil Arbeitnehmer*innen zunehmend mehr Forderungen stellen können und betont die Vorteile von Kompetenzführung anstatt ausschließlich Führung nach Seniorität. Mit Blick auf das Streben nach Effizienz, welches in der Tech Branche besonders ausgeprägt ist, sei Reflektion ein zentraler Teil des Prozesses von digitalem Wandel. Hier bietet feministische Führungskultur wichtige Impulse.  

„Die Digitalisierung zielt häufig darauf ab, uns intelligenter und schneller zu machen. Ich habe das Gefühl, dass Menschen in Führungsverantwortung aufpassen müssen, dass dieses „schneller und effizienter“ nicht dazu führt, dass Menschen ausbrennen.“ 

Julia Kloiber, Managing Director, superrr lab 

Nur Nachhaltigkeit reicht nicht aus

Sheena Anderson ist Project Managerin beim Center for Feminist Foreign Policy und leitet die Themenbereiche Antirassismus und Dekolonialisierung von Außenpolitik und Klimagerechtigkeit. Zudem ist sie bei Black Earth aktiv, einem BIPoC-Kollektiv für Klimagerechtigkeit. Sie kritisiert den Nachhaltigkeitsdiskurs dahingehend, dass er die Klimakrise als ein Problem darstellt, welches mit neuen Technologien und einem nachhaltigen Verhalten innerhalb des vorherrschenden Systems gelöst werden könnte. Dabei wird vergessen, dass die Klimakrise mit vielen weiteren Problemen verstrickt ist, die ebenso angegangen werden müssen. So wie die Gründe für die Zerstörung unseres Planeten divers sind, sind es auch die Menschen, die auf ihm Leben und die Lösungsansätze, die aus unterschiedlichsten Perspektiven entstehen können, wenn wir einen transformativen, feministischen Ansatz für unser Handeln, auch in Organisationsstrukturen, wählen.  

„Es geht nicht nur um Nachhaltigkeit, es geht (…) um die Klimakrise. Da spielen Themen wie Rassismus, Intersektionalität, Klassismus, Ressourcenverteilung, Zugang zu Land usw. eine Rolle. Wenn wir uns nur auf Nachhaltigkeit fokussieren, dann lösen wir all die anderen Herausforderungen nicht. Kapitalistische Ausbeutung zum Beispiel.“ 

Sheena Anderson, Project Managerin, Center for Feminist Foreign Policy  

Große Zukunftsfragen und ihr Einfluss auf feministische Führungsansätze 

Obwohl die Themen Intersektionalität, Digitaler Wandel und Nachhaltigkeit unterschiedliche Schwerpunkte setzen, zeigt eine Betrachtung aus feministischer Perspektive viele Überschneidungen auf. Denn wenn wir die Ursachen der großen Herausforderungen unserer Zeit untersuchen, sind es Systeme von Machtstrukturen, die Ungerechtigkeiten hervorbringen, verstärken und manifestieren.  

Es sind eben diese Machtstrukturen, die marginalisierte und unterrepräsentierte Menschen aus Diskursen ausschließen und ihre Perspektiven unsichtbar machen. Dies sorgt nicht nur dafür, dass Ungerechtigkeiten systematisch reproduziert werden, sondern auch dazu, dass Wissen verloren geht, welches wir zur Lösung der großen Herausforderungen unserer Zeit bräuchten.  

Diese Verschränkung und Komplexität versuchen feministische Führungsansätze mitzudenken, indem bestehende Machtsysteme hinterfragt werden und neue Wege kollektiver und geteilter Macht erkundet werden.  

 

Du hast die Veranstaltung verpasst? Kein Problem, schaue dir jetzt die Aufzeichnung der Paneldiskussion an:

Mehr zu Feminist Leadership

Feminist Leadership, oder auch Feministische Führungskultur, ist ein Konzept, das vorwiegend von Frauen und Frauenrechtsbewegungen aus dem Globalen Süden entwickelt und praktiziert wurde. Über die letzten Jahren hielt dieses Konzept Einzug in den internationalen sozialen Wirkungssektor. Auch FAIR SHARE of Women Leaders arbeitet zur praktischen Umsetzung von Feminist Leadership, zuletzt mit der Publikation “Agenda für den Wandel” und einer 8-wöchigen Webinarreihe zu verschiedenen feministischen Prinzipien.